Eine digitale Zukunft gibt’s nur mit Frauen

Gastbeitrag zu re:publica für FOCUS online

Es gibt zwei Großevents für die digitale Szene in Deutschland. Eins davon, die re:publica, findet diese Woche statt und versammelt ungefähr 8.000 Netzaktivistinnen und -aktivisten in Berlin. Das Gendern ist hier angebracht, da sich auf den Panels und im Publikum in der Regel immerhin ein deutlich sichtbarer Anteil Frauen befindet. Die re:publica setzt sich als Ziel, Diversität in der Netzszene zu zeigen und damit auch möglichst zu erhöhen. Ganz anders ist das beim Digitalgipfel der Bundesregierung, dem zweiten alljährlichen Großevent der Digitalszene. Von Beginn an ist dieser ein Männergipfel gewesen und er ist es bis heute geblieben. Auf meine Nachfrage musste die Bundesregierung erst im April eine dürftige Bilanz vorlegen: Bei den letzten drei Gipfeln waren gerade mal 25 Prozent der Podiumsgäste weiblich.

Die Bundesregierung verpasst ihre beste Chance

Das ist weniger, als der Frauenanteil in der Digitalbranche insgesamt. Dieser stagniert zwar auch seit Jahren, liegt aber immerhin bei etwa 30 Prozent. Die Bundesregierung verpasst ihre beste Chance, mehr Frauen in der Digitalisierung sichtbar zu machen. Dabei ist die digitale Zukunft nur mit Frauen zu machen. Wir können die Digitalisierung nur zum Wohl der Gesellschaft gestalten, wenn auch alle Teile der Gesellschaft an ihrer Gestaltung teilhaben. Sonst bleiben viele digitale Anwendungen, seien es Gesundheitsapps oder intelligente Karriereportale, auf die Bedürfnisse von Männern beschränkt – schlicht weil sie meistens von Männern entwickelt werden. Auch Diskriminierungen bestimmter Gruppen sind wahrscheinlicher, wenn diese Gruppen nicht an der Entwicklung teilhaben. So ist es erst kürzlich bei einem Bewerbungstool von Amazon mit künstlicher Intelligenz geschehen, das nur Männer als geeignet für die ausgeschriebenen Jobs bewertet hat.

Blanker Unsinn, wenn wir uns zufrieden geben

Auch rein wirtschaftlich wäre es blanker Unsinn, sich mit dem geringen Frauenanteil in der Tech-Branche zufrieden zu geben. Wir können nicht auf die Hälfte der Gesellschaft verzichten, wenn wir immer mehr Talente mit hervorragender IT-Expertise benötigen. Laut Branchenverband Bitkom hat sich in 2018 die Anzahl der offenen Stellen für IT-Fachkräfte auf gut 80.000 erhöht – eine Verdopplung im Vergleich zu 2017. Wir müssen politisch also alles dafür tun, mehr Frauen für die Digitalbranche zu gewinnen.

Die Realität sieht derzeit allerdings anders aus. Nicht nur der Anteil der Frauen in der digitalen Wirtschaft verharrt auf niedrigem Niveau, sondern auch der Anteil der Absolventinnen von Informatikstudiengängen, welcher weiterhin unter 20 Prozent liegt.

Der Digitalgipfel sollte für ein Jahr zum Frauengipfel werden

Die Zahl der Studienanfängerinnen ist von 2017 auf 2018 laut Bitkom sogar um knapp zwei Prozent gesunken. Noch düsterer stellt sich das Bild beim Anteil der weiblichen Professorenschaft in der Informatik dar. Seit 2012 liegt dieser beinahe unverändert bei rund zwölf Prozent.

Es gelingt uns also nicht, mehr junge Mädchen für digitale Technologien zu begeistern. Es stellt sich sogar die Frage, was bisher überhaupt jenseits des Girls‘Day dafür getan wurde. Einige kleinere und größere MINT-Initiativen sind hier und dort gestartet worden. Aber es fehlt die klare und sichtbare Botschaft an Mädchen und junge Frauen: Wir brauchen Euch für die Gestaltung unserer digitalen Zukunft.

Ein starkes Signal wäre, wenn der Digitalgipfel für ein Jahr zum Frauengipfel werden würde. Jahrelang war es ein Männergipfel – warum sollten nicht einmal die Frauen die große Mehrheit der Podiumsgäste stellen? Es braucht sichtbare Symbole, um das Thema auf die Agenda zu bringen und nicht unter dem Stichwort „Genderkram“ vor sich hin dümpeln zu lassen. Und hier hat es die Bundesregierung selbst in der Hand, 2019 zum ersten Mal mehr Frauen als Männer einzuladen.

Große Lücke zwischen digitaler Wirtschaft und Wissenschaft

Neben den Symbolen ist aber auch kraftvolles politisches Handeln bei der Gewinnung von Nachwuchs nötig. Ein Professorinnenprogramm mit Schwerpunkt auf MINT-Fächern reicht kaum aus, um die große Lücke zwischen Frauen und Männern in digitaler Wirtschaft und Wissenschaft auszugleichen. Wir müssen in beiden Bereichen konsequent spezialisierte Angebote für Frauen schaffen.

Beispiele dafür gibt es schon, wie etwa den Frauenstudiengang der Berliner Hochschule für Technik. Gerade weil den Studiengang Wirtschaft und Informatik nur Frauen belegen dürfen, erreicht er jene, die sich in einem männerdominierten Hörsaal nicht wohlfühlen würden. Junge Frauen haben oft Bedenken, dass sie mit den Jungs nicht mithalten können, die schon ihr gesamtes Teenieleben mit Gaming und Coding verbracht haben.

Wir brauchen mehr Frauenstudiengänge

Frauenstudiengänge oder spezialisierte Eingangsangebote für Frauen in allgemeinen Informatikstudiengängen machen klar: Hier starten alle mit gleichen Voraussetzungen. Wir brauchen also mehr davon! Aber wir dürfen natürlich nicht erst beim Studium beginnen. Entscheidend ist, dass alle Kinder schon früh einen souveränen Umgang mit digitalen Technologien erfahren – von der KiTa bis zum Schulabschluss. Wenn das Thema in der Schule stattfindet, ist es keine Frage mehr, welches Hobby für Teenager als cool gilt, sondern es ist für Mädchen und Jungs relevant.

Die Start-up-Szene ist nicht zuletzt gefragt, ihre Maker-Nights und Pitch-Events weiblicher zu machen. Digitale Geschäftskonzepte in sozialen Branchen oder auch für Frauengesundheit sind Einstiegsthemen, die Frauen anziehen können.

Warten vergebens auf Initiativen von Karliczek und Bär

Bisher werden nur etwa 10 Prozent der digitalen Start-ups von Frauen gegründet. Erste Ansätze gibt es hier zum Beispiel von SAP, die eine Start-up-Förderung nur für Frauen eingerichtet hat. Auch hier ist Luft nach oben für weitere solche Initiativen.

Wo sind also die Initiativen von Forschungsministerin Karliczek oder Staatsministerin Bär? Zwei Frauen, die sich für mehr Frauen in der Digitalbranche starkmachen müssten. Bis heute warten wir darauf aber vergebens. Dabei würden erste Schritte noch nicht einmal zwingend Geld kosten, wie zum Beispiel die digitale Wirtschaft zusammenzubringen, um gemeinsame Ziele zu vereinbaren.

Gemeinsame Kraftanstrengung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft

Die Wirtschaft würde es ihnen danken, denn viele wissen längst, dass Diversität Innovationen fördert.

Es braucht eine gemeinsame Kraftanstrengung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, um diese Diversität endlich voranzutreiben. Dafür müssen nun alle aus der Deckung kommen und selbstbewusst konkrete Angebote für Frauen einfordern und umsetzen. Immer nur nach mehr Vorbildern zu rufen, obwohl sich seit Jahren nichts bewegt, wird nicht ausreichen. Wir müssen jetzt genauso die weiblichen wie die männlichen Talente gewinnen, um die Digitalisierung gerecht und erfolgreich zu gestalten.